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Die arbeitsrechtlichen Vorhaben der Ampel-Koalition – Teil 1

21 Juni 2022

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP ist überschrieben mit

„MEHR FORTSCHRITT WAGEN

BÜNDNIS FÜR FREIHEIT, GERECHTIGKEIT UND NACHHALTIGKEIT“

Auf 177 Seiten wird beschrieben wie Deutschland neben der Verwirklichung der Klimaneutralität auch den Zusammenhalt der Gesellschaft schaffen soll. In Anbetracht des demografischen Wandels und der Digitalisierung lautet das Bekenntnis der Koalition: „Wir wollen die moderne Arbeitswelt gestalten, dabei berufliche Chancen ermöglichen sowie Sicherheit und Flexibilität in Einklang bringen.“1 Über die sich daraus ergebenden arbeitsrechtlich bedeutsamen Vorhaben wollen wir den nachfolgenden Überblick geben. Schwerpunktmäßige Behandlungen einzelner Themen sollen folgen.

 

1. Ausbildung2

Die Koalition will eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb. Die Einstiegsqualifizierung, die assistierte Ausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfen und Verbundausbildungen sollen ausgebaut werden. Außerdem sollen die Hilfen für Geflüchtete geöffnet werden.3 Eine Aussage zu der wichtigen Rechtsfrage, ob auf die Beschäftigung in den Praxisphasen des dualen Studiums Arbeitsrecht anzuwenden ist, unterbleibt. Das BAG verneint die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts und hat den Rechtssatz aufgestellt, dass das BBiG nicht anwendbar ist auf Absolventen praktischer Studienphasen im Rahmen dualer Studiengänge.4

 

2. Weiterbildung5

Um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele Deutschlands zu erreichen, soll eine gezielte nationale Weiterbildungsstrategie wesentliche Voraussetzung sein. Dazu sollen die Möglichkeiten für berufliche Neuorientierung, Aus- und Weiterbildung - auch in Teilzeit - verbessert werden.

Zur Unterstützung des persönlich motivierten lebensbegleitenden Lernens will die Koalition das Aufstiegs BAföG ausbauen, den Unterhaltsbeitrag für Teilzeitfortbildungen öffnen, Weiterbildungen auch auf der gleichen Stufe des Deutschen Qualifikationsrahmens und auch für eine zweite vollqualifizierte Ausbildung fördern, die Fördersätze und Freibeträge deutlich erhöhen und Förderlücken zum BAföG schließen. Erklärtes Ziel ist es, dass Aufstiegslehrgänge und Prüfungen mit angemessenen Preisen kostenfrei sind. Mit dem Lebenschancen-BAföG soll außerdem ein neues Instrument für die selbstbestimmte Weiterbildung auch jenseits berufs- und abschlussbezogener Qualifikation für alle geschaffen werden.

Der Bundesagentur für Arbeit (BA) soll eine stärkere Rolle bei der Qualifizierung und dazugehöriger Beratung zukommen. Um alle an Weiterbildung Interessierten und Betriebe zu unterstützen, ist eine Vernetzung der BA mit den regionalen Akteuren und einheitliche Anlaufstellen geplant. Dafür will die Koalition die Weiterbildungsverbünde ausbauen und den Aufbau von Weiterbildungsagenturen unterstützen. Ein übersichtlicherer Zugang zu Bildungs- und Beratungsangeboten sowie Förderinstrumenten wird in Aussicht gestellt. Mit einem an das Kurzarbeitergeld angelehnten Qualifizierungsgeld soll die BA Unternehmen im Strukturwandel ermöglichen können, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb zu halten und Fachkräfte zu sichern. Voraussetzung dafür sind Betriebsvereinbarungen. Werden diese Ankündigungen verwirklicht, ist zu erwarten, dass das Recht der Betriebsräte nach § 102 Abs. 3 BetrVG gestärkt wird. Die Betriebsräte könnten einer ordentlichen Kündigung ggü. Arbeitnehmern nach § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG widersprechen, weil die Weiterbeschäftigung nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist.6

Zur Abfederung der digitalen Transformation sollen die Tarifvertragsparteien gezielte Anreize für Transformationstarifverträge erhalten. Das Transfer-Kurzarbeitergeld soll ausgeweitet werden und die Instrumente des SGB III in Transfergesellschaften weiterentwickelt werden.

 

3. Arbeitszeit und Arbeitsort7

Um auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren und die Wünsche von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Unternehmen nach einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung aufzugreifen, will die Koalition Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei unterstützen, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im Arbeitszeitgesetz wird festgehalten.

Homeoffice grenzt die Koalition richtigerweise als eine Möglichkeit der mobilen Arbeit rechtlich von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung ab. Arbeitsschutz, gute Arbeitsbedingungen und das Vorhandensein eines betrieblichen Arbeitsplatzes sind bei mobiler Arbeit wichtige Voraussetzungen, welche die Arbeitgeber durch Information und Beratung der Beschäftigten sowie deren angemessene Unterstützung sicherstellen sollen. Coworking-Spaces werden als eine gute Möglichkeit für mobile Arbeit und die Stärkung ländlicher Regionen erkannt. Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten erhalten einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice. Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf. Für abweichende tarifvertragliche und betriebliche Regelungen soll und muss Raum bleiben. Es ist das erklärte Ziel, dass mobile Arbeit EU-weit unproblematisch möglich ist.

 

Teil 2, betreffend die Themen Selbständige, Mindestlohn, Befristungen u. A. folgt. Sollten bis dahin Fragen oder Anregungen bestehen, sprechen Sie uns gerne an


1 Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 66.
2 Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 66f.
3 Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 67f.
4 BAG 17.6.2020 – 7 ABR 46/18 Rn 44 unter Bezugnahme auf BAG 18.11.2008 – 3 AZR 192/07 Rn. 18, NZA 2009, 435; BAG 3.9.1998 – 8 AZR 14/97 zu B III der Gründe, für ein landesrechtlich geregeltes Studium mit studienintegrierter praktischer Ausbildung; kritisch: Düwell NZA 2021, 28 (28 f.).
5 Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 67f.
6 Vgl. Düwell, Die arbeitsrechtlichen Vorhaben der Ampel-Koalition, BRuR 2022, S. 5.
7 Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 68.